Soldatenschicksale des 1. Weltkrieges Teil 159: Jakob Barowezak

Der Soldat Jakob Barowezak wurde am 20.07.1883 in Dembsko (polnisch: Dębsko) im ehemaligen Kreis Schmiegel (seit 1919 in Folge des Versailler Vertrages polnisch) geboren. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Ersatz-Reservist in der 10. Kompanie des 74. Reserve-Infanterie-Regiments. Am 04.08.1915 fiel er während der Vogesenkämpfe. Er wurde während der Kämpfe in der Stellung am Lingekopf bei dessen Erstürmung im Alter von 32 Jahren getötet.

Über den Todestag und die Todesumstände von Jakob Barowezak berichtet die Regimentsgeschichte des 74. Reserve-Infanterie-Regiments:

„Die Erstürmung des Lingekopfes

04.08.1915

Der größte Teil des ganzen Abschnitts, den wir jetzt besetzt halten, ist nur eine Notstellung. Ursprünglich waren die deutschen Gräben oben auf dem Kamm des Lingekopfes. Aber der Franzmann hat sie im Juli unseren Truppen weggenommen, ja er war teilweise noch darüber hinaus vorgedrungen. Ein späterer Gegenangriff hatte ihn wieder bis auf den Gipfel zurückgeworfen.

 

Stellung am Lingekopf am 05.08.1915 nach dem Sturm

 Hier liegt er nun in naher Entfernung über uns – wörtlich zu nehmen! Denn der Berg hat etwa 30 Grad Steigung! Das ist natürlich auf die Dauer ein unhaltbarer Zustand. Er muss beseitigt werden, koste es was es wolle. Division, Brigade und Regiment haben schon fieberhaft vorgearbeitet. Bis ins einzelne ist alles erwogen. Heute soll der Lingekopf wieder zurück in deutschen Besitz!

3. August spätabends Fernspruch. Die Bataillonskommandeure und einige andere Offiziere werden zum Regimentsgefechtsstand gerufen. Oberstleutnant von Bieberstein erteilt mit knappen, klaren Worten den Befehl: „Morgen abend um 6 Uhr greift das Regiment, in drei Sturmkolonnen geteilt, die Stellung des Gegners an und nimmt die alten deutschen Gräben. Die linke Sturmkolonne führt Hauptmann Settmaier, die mittlere Hauptmann Bowien, die rechte Leutnant Heweker.“ Übersichtliche Skizzen werden ausgeteilt. Noch eine kurze Besprechung, Erklärung der Unterstützung durch Artillerie und Minenwerfer. Dann: „Hat einer der Herren noch eine Frage? Nein? Auf Wiedersehen! – „Auf Wiedersehen!“ Jeder strebt seiner Behausung zu, den Kopf voll von Gedanken, wie man wohl dem Franzmann am besten beikommt.

Zögernd dämmert der Morgen des 4. August herauf. Die Kompanieführer rufen ihre Zugführer zu sich in den Unterstand, machen sie mit dem Befehl und den Einzelheiten des Sturmes bekannt.

Als Angriffstruppen sollen am rechten Flügel die 3. und 4., in der Mitte die 7. und 8. und links die 11. und 12. Kompanie in vorderer Linie verwendet werden.

Jeder Sturmkolonne werden 2/3 Zug Pioniere, ein Fernsprechtrupp und ein Artilleriebeobachter mit Kabel zugeteilt. Außerdem erhalten die beiden Abteilungen auf dem rechten und linken Flügel je ein schweres Maschinengewehr.

Die Zeiteinteilung für den Sturm ist folgende:

10 Uhr bis 12:45 Uhr Uhr Einschießen der Artillerie
12:50 Uhr bis 1 Uhr Pause
1 Uhr bis 3:30 Uhr Artilleriefeuer mittlerer Stärke
3:30 Uhr bis 3:40 Uhr Artillerie-Feuerpause, Maschinengewehr-Feuer von den banachbarten Bergen Eichenrain und Schratzmännle
3:40 Uhr bis 4:20 Uhr Artilleriefeuer
4:20 Uhr bis 4:30 Uhr völlige Pause
4:30 Uhr bis 5:10 Uhr Artilleriefeuer
5:10 Uhr bis 5:20 Uhr Artillerie-Feuerpause, Maschinengewehr-Feuer vom Eichenrain und Schratzmännle
5:20 Uhr bis 6 Uhr höchste Steigerung des Artillerioefeuers
6 Uhr Infanteriesturm und Vorverlegen des Artilleriefeuers

Der Ernst und die Schwere der Aufgabe, die zu lösen ist, steht jedem auf dem Gesicht geschrieben. Die Kuppe des Lingekopfes hat ja nach dem ersten Verlust schon mehrfach den Besitzer gewechselt. Wiederholt sind deutsche Truppen gegen diese starke Bergbefestigung todesmutig angerannt, immer wiedser ist sie in die Hand der Feinde zurückgefallen. Nun sollen Niedersachsen sich endgültig in den Besitz des Berges setzen.

Aber bei Einsicht in die sorgsame Vorbereitung dieses Angriffs muss einem das Herz leicht werden. Und so ist es auch. Keiner zweifelt mehr an dem Erfolg des Unternehmens. Auch unsere Leute nehmen den Befehl ruhig und gefasst auf. Den Ernst der Sache erkennt jeder, jeder weiß auch, dass es Opfer kosten wird. Aber nirgends eine Spur von Niedergeschlagenheit! Nur eines behagt der am rechten Flügel liegenden 3. Kompanie nicht: In dem Angriffsplan ist nicht erwähnt, ob das vor ihrer Stellung liegende französische Blockhaus gerstürmt werden soll. Es heißt nur, dass die 3. Kompanie die Flankensicherung übernehmen und der 4. Kompanie folgen soll. Leutnant Presler eilt rasch zum Bataillon und erhält die Erlaubnis für die Erstürmung des Blockhauses. Er selbst und Vizefeldwebel Krüger werden damit betraut. Leutnant Conrad soll dabei mit einem Maschinengewehr helfen. Nach dieser wertvollen Ergänzung des Angriffsplanes ist alles klipp und klar. In unserem Tatendrang ist uns der Besitz des Berges schon so gut wie sicher.

Auch innerhalb der Sturmkolonnen wird Klarheit geschaffen. Handgranatentrupps werden ausgesondert, den Zügen in 1., 2. und 3. Linie ihre Stellungen zugewiesen. Die Reservekompanien erhalten die nötigen Befehle. Munition und Handgranaten werden ergänzt. Kurz, es wird alles bis ins kleinste vorbereitet.

Um 9 Uhr morgens werden unsere vordersten Gräben unauffällig geräumt. Nur einige Beobachtungsposten bleiben vorne. Genügend Freiwillige haben sich zu diesem gefährlichen Dienst gemeldet.

Plötzlich ein donnerartiges Krachen. Der Berg erzittert. Unsere schweren Minenwerfer haben ihre Arbeit begonnen. Schuss auf Schuss folgt jetzt. Gespannt blicken wir hinauf auf die Höhe. Schlägt so ein Brocken ungefähr richtig ein, dann halten wir nicht mit unserem Beifall zurück. Es rührt sich in uns ein Gefühl der Vergeltungsfreude. Wurscht wider Wurscht. Damals vom Altmattkopf her haben uns die Franzmänner das Leben mit ihren Minen sauer gemacht. Heute sollen sie selber einmal spüren, wie wohl das tut.

Nach einer Stunde, um 10 Uhr, kommt ein neuer Ton in das Konzert. Heulend saust die erste Granate über unsere Köpfe weg in die feindliche Stellung. Die Artillerie schießt sich ein. Eine Batterie nach der anderen beginnt das Feuer. Auch ein Artilleriebeobachter hat sich vorne bei uns eingefunden. Er sucht Anschluss an seine Zentrale, aber es gelingt ihm nicht.

Dafür steigert sich der Ehrgeiz unserer Artillerie, die feindliche Stellung kurz und klein zu hauen. Schon fliegen die Balken und Felsdeckungen eines französischen Unterstandes hoch durch die Luft. Im nächsten Augenblick sitzt aber auch schon ein 21er in unserem Graben. Fernsprecher her! Aber die Verbindung zur Artillerie klappt immer noch nicht. Also Meldegänger los! Sie hasten den Berg hinab. Einige Posten kommen von vorne zurück: der eigene Graben liege unter Feuer. Wieder wird an der Artilleriestrippe gebastelt. Vergebens! Kein Schwanz meldet sich.

Inzwischen hauen die Granaten immer kürzer ein. Ein Pioniertrupp, der an der Riegelstellung arbeitet, verliert durch ein Schrapnell 7 Mann. Auch in unsern Reihen fällt hier und dort einer aus. Die Sturmkolonnen müssen wieter zurückgenommen werden. Noch kürzer schlagen die Geschosse ein. Noch mehr zurück die Sturmmannschaften! Bange taucht die Frage auf, ob wir bei der Steilheit des Berges überhaupt frühzeitig genug oben sein können, bevor der Franzmann wieder in seinen Gräben ist.

Endlich ist die Verbindung mit der Artillerie hergestellt. Unsere Meldung über das Zukurzschießen wird aber nicht geglaubt. Die „eigene feindliche Artillerie“, wie sie schnell getauft wird, schießt weiter. Sie räumt zwar gut in der französischen Stellung auf, leistet sich aber immer noch Kurzschüsse, die uns immer neue Verluste zufügen. Bis zum Abend 200 Mann!

Sichtbar belebt wird die Stimmung, als um 1 Uhr mittags das Wirkungsschießen beginnt. Ein Hagel von Geschossen aller Kaliber, vom dumpfen Krachen schwerer Minen unterbrochen, zerschlägt die feindlichen Gräben. Beunruhigt tacken die französischen Maschinengewehre. Die Höhenstellung verschwindet in Rauch und Pulverdampf. Aber immer noch schlägt das unrihige Gewehrgeknatter an unser Ohr. Noch ist der Franzmann nicht mürbe!

Eine wohltuende Abwechselung in das betäubende Krachen der Granaten und Minen bringen mehrere Feuerpausen von 10 Minuten. Dann setzen unsere Maschinengewehre hinter uns ein und fegen mit ihren Garben über unsere Köpfe hinweg. Deutlich hören wir jetzt die angstvollen Schreie der verwundeten Franzosen über uns. Unser Wirkungsschießen muss ja auch fürchterlich da oben gewütet haben.

Aber auch diese Feuerpausen haben für die Franzmänner schreckliche Folgen, wie die mit Leichen angefüllten Gräben später zeigen. Mit dem auf die Minute festgesetzten Abbrechen unseres Artilleriefeuers glauben nämlich due Franzosen, dass nun unser Angriff beginnt. Sie stürzen aus ihrer Reservestellung nach vorne und stehen schussbereit da. Gespannt warten sie auf die ersten Ziele, die sich zeigen – warten und warten – da haut auch schon wieder nach der Feuerpause die erste schwere Granate mitten unter sie ein und vernichtet alles.

Von 5.15 Uhr ab erhöht sich die Feuergeschwindigkeit unserer Artillerie. Ein Orkan von Eisen und Stahl fegt durch die Luft. Baumstämme stürzen mit dumpfem Aufschlag, Felsen bersten krachend und überschütten uns mit einem Steinhagel.

Aber je toller es zugeht, desto mehr steigert sich unsere Angriffslust. Der Zeitpunkt für das Hervorbrechen kann kaum abgewartet werden. Bajonette blitzen schon über den Gewehrmündungen, im Sturmgepäck steht Mann an Mann an den Ausfallstufen.

Schlag 6 Uhr springen die Zugführer aus den Gräben, gefolgt von ihren tapferen Mannschaften. Jetzt alles heran an den Feind, auch die Reserven. Handgranatentrupps vor! Kein Gewehrschuss darf fallen, bevor wir nicht oben sind. In keuchender Eile geht es den Berg hinauf. Schon im eigenen Drahtverhau ganz am rechten Flügel fällt als erster des Sturmes Leutnant Kruse von der 3. Kompanie. Eine wohlgezielte Infanteriekugel hat ihn zu Tode getroffen. Handgranaten- und Maschinengewehr-Feuer aus dem Blockhaus empfängt die Stürmenden.

Über alles kann den ungestümen Schwung von Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften nicht mehr schwächen. Schon künden die ersten Detonationen von Handgranaten, dass die Kuppe erreicht ist. Am rechten Flügel stürmen mit hocherhobenem Stock und die Pistole in der linken Leutnant Presler und Vizefeldwebel Krüger ihren Kameraden voraus. Bald sind sie am Blockhaus. Leutnant Presler steht eben aufrecht davor. Da läuft ein Alpenjäger mit dem Bajonett auf ihn los. Er wehrt den Angreifer mit dem Stock ab. Jetzt sind auch schon die ersten von der Gruppe da. „Oackt ihn!“ Sie stürzen sich auf den Alpenjäger. Der wirft das Gewehr fort. In wütendem Nahkampf werden die Reste der Besatzung den Berg hinabgeworfen. Wer sich von Alpenjägern noch wehrt, wird niedergemacht oder gefangengenommen.

Unweit davon stürmt mit seltenem Schneid ein aanderer Trupp in die feindliche Stellung. Leutnant Warnecke ist es von der 4. Kompanie an der Spitze seines aus lauter Freiwilligen bestehenden Handgranatentrupps. Mit lautem Hurra werden die Gräben genommen.

Unteroffizier Götze (1. Kompanie) ist einer der ersten und geht der Besatzung mit bekannter Furchtlosigkeit zu Leibe. Vier Offiziere und über 20 Mann werden zu Gefangenen gemacht.

Unteroffizier Schnelle steht ihm als Führer eines weiteren Freiwillilligentrupps an heroischer Tapferkeit nichts nach. Als er den zweiten feindlichen Graben noch besetzt findet, geht er mit blanker Waffe vor, springt als erster mitten unter die verdutzten Franzosen und räumt nun mit Hilfe seiner braven Leute gründlich auf. Da stürmt ihm mit aufgepflanztem Bajonett Verstärkung entgegen. Kaltblütig lässt er sie herankommen und erledigt sie im Nahkampf. Schnelle hält mit wenigen Leuten seinen Graben gegen vielfache Übermacht. Dabei findet der hefdenhafte Gefreite Bakenmeyer den Tod durch eine Handgranate.

Soweit das Auge reicht, rechts und links, überall ist der Nahkampf entbrannt. Wir wissen kaum, wie wir hinaufgekommen sind, aber wir sind oben. Schrapnells krepieren über, Hangranaten neben uns. Wir stehen im erstickenden Pulverdampf. Gesichter tauchen auf aus dem Dunst. Hier auf einem Felsblock der Kompanieführer der 3., Leutnant Heweker. Mit bombiger Ruhe leitet er durch Zeichen den Sturm. Im nächsten Augenblick hüllt ihn wieder eine Dampfwolke ein. Und wie die Leute kämpfen! Jeder einzelne! Ein Bild für einen Schlachtenmaler!

Fast überall wehrt sich der Franzmann tapfer. Wenn man bedenkt, dass er viele Stunden im zermürbendem Wirkungsfeuer gestanden hat, so können wir heute seiner Zähigkeit und seinem Mut nur Achtung zollen. Mitten im Kampf versucht er seine Maschinengewehre in Tätigkeit zu setzen. Er wird von unseren wütenden Leuten einfach überrannt. Das Gewehr spielt jetzt keine Rolle mehr. Sie gehen ihm mit Handgranaten zu Leibe. Als der Vorrat zu Ende geht, nehmen sie Felsstücke. Dicke Steine fliegen in hohem Bogen hinter den Flüchtenden her. Derbe, für den Franzmann wenig schmeichelhafte Kraftworte begleiten sie.

Da! Ein Lager französischer Handgranaten. Irgendeiner hat es entdeckt. Ein Alpenjäger wird geschnappt, der muss schnell Unterricht erteilen. In der nächsten Minute schon sausen die kleinen Dinger den Berg hinunter, mitten unter die feindlichen Wellen, die im Gegenstoß nach oben drängen. Gerade noch rechtzeitig kommt von rückwärts ein neuer Vorrat an Handgranaten. Wum…Wum…Wum…Krachend bersten sie und reißen blutige Lücken. Der Angreifer gibt für diesmal auf. Hinter Felsblöcken Schutz suchend springt er wieder zurück.

Derweil wird aus dem Blockhaus schon das erste Maschinengewehr als Beute herausgetragen. In heller Begeisterung springt der junge Vizefeldwebel Krüger, ungeachtet der feindlichen Geschosse, oben auf einen freistehenden Felsblock, schwenkt die Mütze und stimmt das Lied „Deutschland, Deutschland über alles“ an. Wie ein Sturmgesang braust es durch die Reihen der Lingekopferoberer ; – über alles, über alles in der Welt!“

Leutnant Conrad hat inzwischen sein Maschinengewehr unter unsäglichen Schwierigkeiten und Gefahren an einer vorspringenden Bergnase in Stellung gebracht und feuert mit eiserner Ruhe in die abziehenden Reihen der Alpenjäger. Sein Ziel ist lohnend, denn schon setzten ganze Trupps von Franzosen dicht unter ihm zum Gegenstoß an. Er schießt sie alle, ehe sie sich richtig entwickeln können, mit staunenswerter Sicherheit zusammen. Ein Bild eigener Größe, wie er mit seinen tapferen Leuten, den Kugeln preisgegeben, auf einem freien, erhöhten Fels liegend und ins Tal hinunterfeuert.

Doch plötzlich verstummt sein Gewehr. Von einem Querschläger in die Schulter getroffen, sinkt der tapfere Offizier blutüberströmt hinter seiner Waffe zusammen. Während er verbunden wird, hat schon ein anderer das Gewehr ergriffen und feuert in die den Berg heraufkommenden Reihen. Zu Tode getroffen sinkt auch dieser Brave in die Kniee. Ein dritter wagt es, die Handgriffe zu nehmen und auf den Abzugshebel zu drücken. Nur wenige Kugeln sind heraus, da schweigt sein Tack-Tack wie abgerissen. Eine Kugel in den Bauch hat den Tapferen hingerafft. Sekunden nur, da liegt der vierte ohne Zaudern an den Griffen und mäht den Hang hinunter, bis auch dieser nach wenigen Augenblicken verwundet heruntergetragen wird.

Das Maschinengewehr muss aus allernächster Nähe Flankierungsfeuer bekommen. Das ist den wenigen Übriggebliebenen klar. Und wirklich! Als einige Leute sich kriechend an den Bergvorhang der rechten Flanke heranpirschen, gewahren sie nur 15 Meter unter sich hinter einem Felsen einen einzelnen Alpenjäger, wie er in aller Gemütsruhe sein Gewehr lädt und gerade anlegen will. Im Nu kracht ein Hagel von Handgranaten zu ihm hinunter und macht ihn unschädlich. Ganz allein hatte sich dieser verwegene Bursche dort gehalten und unsere gesamte Maschinengewehr-Besatzung auf kurze Entfernung abgeknallt.

Gott sei Dank ist diese Gefahr nun endgültig beseitigt. Die vordere Linie links vom Blockhaus ist unter Führung des Unteroffiziers Bünnemeyer eifrig dabei, Sandsäcke zu füllen und die eingenommene Stellung zu beseitigen. Reserven schieben sich ein und füllen die Lücke. Es ist aber auch höchste Zeit! Denn ganze Gruppen von Alpenjägern drängen hinter Felsblöcken und Baumstümpfen aufwärts. Sie wollen mit aller Gewalt wieder die Kuppe haben. Aber Handgranate auf Handgranate fliegt ihnen vor die Füße, so dass keiner von Ihnen an die von Bünnemeyer verteidigte Linie herankommt. Fest ist sie in der Hand der Unsrigen.

Unvergessen bleibt die tatkräftige Unterstützung der 9. Kompanie, die am 4. August zusammen mit dem I. Bataillon eingesetzt wurde. Auch sie hat großen Anteil an den Erfolgen der Sturmabteilung Heweker. Im Verbande dieser Abteilung bringen Teile der 9. Kompanie unter Führung des bei diesem Sturm gefallenen Offizierstellvertreter Eschenbüscher bis über den zweiten feindlichen Graben vor. Der Gefreite Recksieck bemächtigt sich eines französischen Maschinengewehrs und macht erst vor dem dritten feindlichen Graben halt.

Was nun geschieht, schildert uns Kamerad Schwartinger in lebendigen Worten:
„Auf der granatenzerstampften Kuppe liegen die Sieger in fieberhafter Tätigkeit. Sandsäcke werden in ununterbrochener Kette von unten heraufgelangt und am Rande der Kuppe aufgebaut. Auf dem Leibe vorkriechend, schiebt jeder die Verteidigungslinie so weit hinaus, wie es eben geht. Zerschossene Baumstämme werden zur Befestigung zwischen die Sandsäcke gelegt. Dann werden die Stahlschilde mit den Schießscharten eingebaut. Von Minute zu Minute wird der Verteidigungsdamm höher und fester. Schon kann der Mann in seinem Schutze dahinter knien, bald steht er aufrecht und späht durch die Scharten den Hang hinunter, wo hinter Felsen noch Feinde kauern und Schuss auf Schuss gegen die entstehende Brustwehr senden. Aber sie müssen zurück, Schritt für Schritt; denn während bei uns die einen bauen, schleudern andere Handgranaten, die mit furchtbarem Getöse explodieren und Schrecken und Verwüstung verbreiten.“

Die Beute des I. Bataillons ist groß. Allein vier Offiziere, ein Arzt und ca. fünfzig unverletzte Alpenjäger werden an Gefangenen gezählt. Eine große Anzahl tote und schwerverwundete Franzosen bedecken den Kampfplatz. Zwei Maschinengewehre mit viel Munition, Hunderte von Handgranaten, zwei Fernsprechapparate (aus dem Blockhaus) und wertvolles Feldbefestigungsmaterial ist in unsere Hände gefallen. Die eigenen Verluste betragen 1 Offizier, 7 Unteroffiziere, 28 Mann tot; 1 Offizier, 18 Unteroffiziere, 103 Mann verwundet.

Die Sturmkolonne des II. Bataillons war von gleichem Angriffsgeist beseelt. Als erster verlässt Hauptmann Bowien um 6.10 Uhr den Graben und geht mit seiner Abteilung mit großem Schneid vor. Da schlägt ein Volltreffer in die 7. Kompanie. Das Hurra erstirbt auf den Lippen. Elf Mann tot! Schon scheint die Sturmkolonne an dieser Stelle zu wanken, da springt Hauptmann Bowien vor und reißt seine Leute mit sich vorwärts. Gewehr- und Handgranatenfeuer prasselt ihnen entgegen. Durch einen Brustschuss schwer getroffen sinkt Hauptmann Bowien zu Boden.

Für seine Leute gibt es jetzt kein Halten mehr. Wütend arbeiten sie sich der Kuppe zu. Der Sturm gelingt der 7. und 8. Kompanie bis über die feindliche Stellung hinaus. Vierzig Franzosen werden zu Gefangenen gemacht. Die Beute beträgt: 1 Maschinengewehr, 300 Gewehre und einige hundert Handgranaten. Erst als die Meldung von dem sicheren Besitz der feindlichen Stellung zu ihm gelangt, lässt sich Hauptmann Bowien mit einem letzten Hoch auf seine 7. Kompanie nunmehr völlig entkräftet zurücktragen. Tags darauf erliegt er in Colmar seinen Wunden. Mit ihm fielen Leutnant Schleip durch Herzschuss und 16 tapfere Leute. Verwundet wurden Leutnant Sahlmann, Offizierstellvetreter Sommerlatte und 106 Mann.

Allmählich wird das Gefechtsfeld übersichtlich. Der Lingekopf ist unser. Die rechte Sturmkolonne hat zwei Gräben genommen und beherrscht jetzt den jenseitigen Berghang. Auch die mittlere Kolonne hat ihr Ziel erreicht bis auf ein Grabenstück von etwa 100 Meter Breite, das die Franzosen noch zäh verteidigen.

Nur dem linken Flügel war trotz rücksichtslosen Draufgehens kein Erfolg beschieden. Sein Angriffsziel war das sogenannte Franzosennest, das zwischen Lingekopf und Schratzmännle liegt. Eine Befestigungsanlage, die durch Blockhäuser und Sappen stark gesichert ist.

Schon bei der Artillerievorbereitung gehen mehrere Volltreffer schweren Kalibers in die eigenen Gräben, wie überhaupt der ganze linke Flügel am schwersten unter den verhängnisvollen Kurzschüssen zu leiden hat. Heillose Verwirrung entsteht. Man rennt bald hier, bald dorthin, um sich vor den eigenen Granaten zu schützen. Aber nirgends ist man sicher. Hier steht eine Gruppe der 10. Kompanie angstvoll zusammengepresst. Da…ein einziger Aufschrei! Ein gutes Dutzend blutender Leiber windet sich im schwefeldampfenden Erdreich. Sechs Mann allein tot, darunter der schneidige Unteroffizier Mürrle. Die übrigen schwer verwundet. Verzweifelte Rufe der Nächststehenden. Schon schlägt dicht dabei eine neue Granate ein. Wohin? Wohin? Wut, Angst, Entsetzen spricht aus den Gesichtern.

Kein Wunder, dass die Verbände auseinanderreißen. Die Übersicht geht verloren. An eine Bildung von Sturmgruppen ist jetzt nicht mehr zu denken. Denn die Zeit des Sturmbeginns rückt immer näher. Schnelles Handeln ist nötig, um den Anschluss an den vorgehenden Nachbarn nicht zu verlieren.

Hauptmann Settemaier setzt daher die 12. Kompanie unter seiner Führung frontal ein, während die 11. Kompanie von links flankierend eingreifen soll. Kaum aber haben die ersten Gruppen den Graben verlassen, als ihnen ein wahres Höllenfeuer entgegenschlägt.

Mit dem Degen in der Hand springt Vizefeldwebel Klug von der 11. Kompanie seinem Zuge weit voraus. Als er sich nach einer Atempause zum letzten Vorstoß gegen das Franzosennest anschickt und zum Sprung aufrichtet, sinkt er in die Stirn getroffen lautlos zu Boden. Mächtig setzt sich der Feind zur Wehr. Ungeschwächt empfängt er die Übrigen mit einer Anzahl von Handgranaten. Bis auf 20 und 30 Meter gelangen die Vorwärtsstürmenden an das Franzosennest heran. Die Verluste mehren sich bedenklich. Besonders fegt das französische Maschinengewehr-Feuer vom Schratzmännle her in die Reihen der Angreifer, die jetzt dicht vor ihrem Ziel liegen.

Es macht den letzten entscheidenden Stoß unmöglich. Ein Verbleiben in dieser Lage ist zwecklos. Kriechend erreichen die Unseren wieder die Ausgangsstellung. Nur der Ersatz-Reservist Starke von der 12. Kompanie bleibt in opferbereiter Soldatentreue 15 Meter vor dem feindlichen Drahtverhau bei einem Schwerverwundeten in einem Granatloch liegen, schneidet seinen Mantel in Streifen und bindet seinem verblutenden Kameraden das Bein ab. Später bringt er den so Geretteten wohlbehalten in den deutschen Graben zurück.

An anderer Stelle aber stürmen unsere braven Leute noch weiter und gelangen bis in die feindlichen Gräben. Sie haben mörderische Verluste. Während rechts beim I. und II. Bataillon die Höhenstellungen des Feindes gänzlich von Artillerie und Minen zertrümmert waren, ist hier am linken Flügel das stark ausgebaute Franzosennest noch vollständig intakt. Unsere Artillerie hat unter den Kompanien des III. Bataillons fast noch stärker aufgeräumt als oben in dem Felsennest beim Franzmann. Von allen Seiten tacken Gewehre und Maschinengewehre hinter unbeschädigten Grabenwehren und speien ihre todbringenden Geschosse über unsere hinter Felsstücken geduckten Köpfe. Trotzdem kommen einzelne Gruppen Schritt für Schritt, Sprung für Sprung näher heran. Sie wollen doch hinter den Kameraden von rechts nicht zurückstehen. Ein maßloser Ehrgeiz beseelt sie, es den anderen gleich zu tun. Sie wissen nur nicht, dass sie unter bnedeutend schwereren Verhältnissen kämpfen.

Jetzt gelingt es dem Reservisten Spör von der 10. Kompanie zusammen mit 2 Kameraden in den feindlichen Graben zu springen. Da steht in nächster Nähe ein feuerndes Maschinengewehr. Wie die Löwen stürzen sie auf die Besatzung, entreißen ihr die furchtbare Waffe. Mit ihnen sind noch andere durch den Kugelregen nach oben gekommen. Schnell versuchen sie sich einzurichten. Aber es ist unmöglich. Sie erhalten vom nahen Schratzmännle aus, der einige Meter höher liegt, ein derart heftiges Flankenfeuer, dass sie sich nicht halten können. Ganz wenigen nur glückt es, unseren Graben wieder zu erreichen. Darunter auch der Reservist Spör, der allein seine kostbare Beute, das französische Maschinengewehr, mit zurückschleppt.

Wenn der Sturmkolonne Settmaier auch kein greifbarer Erfolg beschieden ist: sie hat sich unter den ungünstigsten Bedingungen heldenhaft geschlagen. Ihre Leistungen sind vollkommen ebenbürtig. Trotz schwerer Verluste versucht sie noch am gleichen Tage, 8:30 Uhr abends mit Unterstützung der 5. Kompanie des bayerischen Landwehr-Infanterie-Regiments 2 einen neuen Sturm aufdas Franzosennest. Aber auch dieser scheitert an der Wachsamkeit und zähen Gegenwehr der Alpenjäger. Ohne Zerstörung der feindlichen Blockhäuser muss jedes Anrennen gegen diese kleine Bergfestung zerschellen.

Inzwischen ist auch schon die Nacht hereingebrochen. Das Getöse in den Bergen verhallt. Nur ab und zu platzen dumpf ein paar Handgranaten. Vereinzelte Gewehrschüsse durchschneiden scharf die nächtliche Stille. So bleibt es bis zum frühen Morgen.

Unterdessen wird fieberhaft daran gearbeitet, die eroberten Gräben zur Verteidigung herzurichten und zu verstärken. Sandsäcke werden gefüllt und aufgetürmt, Handgranaten, Stacheldraht, Schutzschilder, Munition nach oben geschleppt. Denn wir rechnen damit, dass der Franzmann alles versuchen wird, die beherrschende Höhe zurückzugewinnen.

Wieder andere gehen einer Beschäftigung nach, die viel trauriger stimmt. In langen Zügen sieht man die Sanitäter talwärts ziehen. Auf Bahren und in Zeltbahnen schleppen sie mühsam die Schwerverwundeten und toten Kameraden den Berg hinab. Unsere Regimentsmusiker helfen dabei tapfer mit, wie sie uns auch Essen und Munition auf die Höhe heraufgebracht haben.

Was sind das hier für Unterstände? Matter Kerzenschimmer dringt heraus. Es ist ein fortwährendes Kommen und Gehen. Die schwankenden Lasten der Krankenträger verschwinden in den schmalen Eingängen. Leer kommen die Leute mit der Roten Kreuzbinde wieder zurück, oder aber sie stützen einen Kameraden, dessen weißer Verband gespenstisch durch die Dunkelheit leuchtet.

Das sind die Verbandstellen des Regiments. In ihnen sehen wir unsre Ärzte Dr. Willms, Dr. Eichwald, Dr. Grenacher und Dr. Cordua mit aufgekrempelten Hemdärmeln und blutigen Kitteln hantieren. Sie leisten die erste Hilfe, geben Tetanusspritzen, verbinden, lindern, sprechen gut zu. Unaufhörlich kommen sie hereingetragen oder hereingehumpelt; jeder verlässt erleichtert, gestärkt und aufgemuntert den von frischem Blut geschwängerten Raum. Der Abtransport ist gut organisiert. Sie brauchen nicht lange zu warten, die Verwundeten, dann geht ein neuer Schub nach rückwärts, Wagen nehmen sie auf und bringen sie in saubere Lazarette, wo ein weißes Bett, eine liebevolle Pflege ihrer wartet.

So klingt der 4. August 1915 aus – In der Geschichte des Regiments ist er mit ehernen Lettern eingetragen.“

Man begrub Jakob Barowezak auf dem Soldatenfriedhof Ammerschwihr in Grab 89.

Das Grab von Jakob Barowezak auf dem Soldatenfriedhof Ammerschwihr